Psyche unter ständiger Belastung - Ein Wechsel unseres Rhythmus ist ein möglicher Ausweg
gegen anhaltende Erschöpfung
Viele Menschen fühlen sich erschöpft und überfordert. Warum ist das so und was können wir dagegen tun? Das mentale Tief im Januar breitet sich aus. Nicht nur in den Geschäften, sondern auch in unseren Seelen. Die Gesellschaft erlebt einen Kater nach Weihnachten und versinkt in einem mikrodosierten Winterschlaf. Müdigkeit und Erschöpfung prägen die Stimmung. Doch dies liegt nicht nur am Januarloch. Laut der Studie “Barometer Gute Arbeit 2023” des unabhängigen Arbeitnehmerverbandes Travail.Suisse, hat die Erschöpfung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz einen Höchststand erreicht: Jede dritte Person ist zu erschöpft, um sich nach der Arbeit um familiäre oder private Angelegenheiten zu kümmern. Viele fühlen sich am Limit, klagen über Stress und machen sich Sorgen um die Welt. Politik und Psyche sind miteinander verbunden Düstere Zukunftsaussichten schlagen auf die Stimmung. Jede dritte Person meidet daher sogar den Konsum von Nachrichten.
Die täglichen negativen Schlagzeilen über Krieg, Klimawandel und Migration lösen ungute Gefühle aus, von Ohnmacht bis hin zu Ängsten und Depressionen. Oftmals ist es dieses Gefühl der Ohnmacht und des Kontrollverlusts, das zu schwerwiegenden psychischen Störungen führen kann. Was können wir für uns tun? Die Ohnmacht überwinden und wieder ein Gefühl der “Selbstwirksamkeit” erlangen. Das Gefühl, dass ich die Dinge selbst kontrollieren und verändern kann - auch wenn es nur im Kleinen ist. Der gefühlte Kontrollverlust angesichts der Weltlage kann nicht nur zu Angst und Lähmung führen, sondern auch zu Wut und Aggression.
Dies äussert sich auch in politischen Konsequenzen: zum Beispiel dem Vertrauensverlust in die Politik, dem Hass gegenüber allen Eliten oder der Sympathie für Verschwörungsmythen. Psyche und Politik sind also eng miteinander verflochten. Aus dem Takt geraten. Eine der Ursachen für das allgegenwärtige Gefühl der Überforderung könnte in einem Widerspruch zwischen zwei Zeitlogiken liegen: Das Tempo unseres Körpers passt denkbar schlecht zum Rhythmus unserer Gesellschaft. Unser Körper benötigt Erholungsphasen, Rhythmen und Kreisläufe, wie beim Atmen oder beim Schlaf-Wach-Rhythmus. Die Gesellschaft hingegen folgt einer linearen, beschleunigten Zeit, die kaum Pausen kennt und auf ständiges Wachstum ausgerichtet ist.
Diese pausenlose Beschleunigung ist Gift für die natürlichen Kreisläufe unserer inneren Natur. Erschöpfung resultiert jedoch oft auch aus fehlender Anerkennung und Rückmeldung für unsere eigene Arbeit. Unsere Arbeit wird von anderen nicht wertgeschätzt und daher als nicht sinnstiftend und erfüllend empfunden. Erschöpfung hängt also auch mit Entwertung und Entfremdung zusammen: Wir arbeiten vor uns hin - grösstenteils fremdbestimmt und unsichtbar - und versuchen das schlechte Grundgefühl loszuwerden, indem wir immer mehr arbeiten. Ohne Regenerationsphasen. Bis zum Zusammenbruch. Ängste, Depressionen und Einsamkeit nehmen zu.
Die aktuelle Schweizerische Gesundheitsbefragung des Arbeitnehmerverbandes Travail.Suisse zeigt: Die psychische Belastung hat in den letzten fünf Jahren deutlich zugenommen, besonders bei jungen Frauen. Das erklärt sich unter anderem damit, dass Frauen stärker auf soziale Interaktionen und Beziehungen ausgerichtet sind und daher unter der Isolation während der Pandemie stärker gelitten haben. Aber auch soziale Medien spielen eine Rolle, da gerade junge Frauen auf Plattformen einem permanenten Vergleichsdruck ausgesetzt sind, in Form einer ständigen “Bewertung” und “Gesehen” werden durch andere.
Untersuchungen der US-amerikanischen Psychologin Jean Twenge haben sogar gezeigt, dass Ängste, Depressionen und Einsamkeit zunehmen, je mehr Zeit junge Menschen am Handy verbringen. Das nicht überraschend, denn: "In Wahrheit schaut uns niemand aus einem Smartphone an." Kein virtueller Austausch - egal ob Videoanruf, Sprach- oder Textnachricht - kann eine echte physische Begegnung ersetzen. Etwas Entscheidendes fehlt. Das körperliche Erleben und Spüren. Augenkontakt, Berührungen, Wärme. Die realen körperlichen Begegnungen sind die massgeblichen Erfahrungen für unsere Realität, für unser und das Gefühl: "Ich bin jetzt tatsächlich hier und in Beziehung." Vor unseren eigenen Bildschirmen werden wir alle zu "Masseneremiten", wie der Philosoph Günther Anders es einst nannte. Das Gefühl der Einsamkeit bleibt bestehen, auch wenn die Anzahl der Follower zunimmt.
Was können wir für uns tun?
Unser Körper ist unsere Rettung sein und spielt eine entscheidende Rolle, wenn wir Stress, Ängste und Ablenkung im Virtuellen vermeiden wollen. Wir müssen lernen, "unseren eigenen Körper zu bewohnen": Die Aufmerksamkeit zurückholen ins Hier und Jetzt, den eigenen Atem spüren, die Füsse auf dem Boden. Nur so gelangen wir in die Gegenwart und können uns verbinden: mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit der Natur, die nachweislich eine heilsame Wirkung bei Stresssymptomen hat.
Fazit:
Die Welt des Lebendigen steht immer mehr zuim Widerspruch zum immer schneller zunehmenden Tempo des wirtschaftlichen, linearen Fortschritts und kontinuierlichem Wachstums.
Fakt ist: Ignorieren wir die Kreisläufe unseres Körpers und der Natur, werden wir irgendwann zusammenbrechen. Als Mensch und Gesellschaft.
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